Essays

Büchermacher – Büchermärkte

©Usch Kiausch, 2011

Teil I – Ein Situationsbericht

Der Boom an Neupublikationen vor jeder Frankfurter Buchmesse kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der bundesdeutsche wie der internationale Buchhandel und Buchmarkt in einer Phase grundsätzlicher Umstrukturierung und Neuorientierung befindet.

Auf die allgegenwärtige Medienkonkurrenz durch den Online-Markt und den wachsenden Verkauf von E-Books haben die Verlage mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen reagiert: mit Kostenstellenanalysen durch Unternehmensberatungen wie McKinsey, anschließend neuen Gewinnvorgaben (die bis in den zweistelligen Bereich reichen), Abstoßen oder Liquidation nicht-lukrativer Verlagsbereiche, Umstrukturierung von Verlagsprogrammen, Reduktion der Titelangebote, kürzeren Herstellungszyklen und „Umschlags“-Zeiten  von produzierten Titeln bei verringerten Auflagen, Kostenreduktion durch Outsourcing früherer verlagsinterner Abteilungen (etwa bei Lektoraten und grafischer Gestaltung) und vor allem: mit Konzentrationsprozessen.

Eine aufschlussreiche Übersicht über diese Entwicklungen vermittelt die von Klaus-Wilhelm Bramann vollständig überarbeitete  Untersuchung von Hans-Helmut Röhring Wie ein Buch entsteht – Einführung in den modernen Buchverlag (9. Auflage 2011, Primus Verlag, Darmstadt). Sie enthält nicht nur einen Überblick über die bundesdeutsche Verlagslandschaft und den verbreitenden Buchhandel, sondern auch über aktuelle Organisationsstrukturen von Verlagen, Programmpolitik, Urheber- und Verlagsrecht, Marketing, Werbung und vieles andere.

Stichwort: Konzentrationsprozesse

Obwohl alteingesessene Verlage mit Renommee meistens auch weiterhin unter ihrem ursprünglichen Namen agieren, sind viele davon längst Teil großer Verlagskonzerne. Beispielsweise gehören Fischer, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch und andere inzwischen zum Holtzbrinck-Konzern und Luchterhand, Blanvalet, Goldmann und Heyne und viele weitere Verlage zur Nummer eins unter den deutschen Verlagsgruppen: Random House.

Wie Bramann, seit 2000 Leiter des Lektorenseminars bei mediacampus frankfurt/ die schulen des deutschen Buchhandels, feststellt, zählt „das Adressbuch für den deutschsprachigen Buchhandel in der Ausgabe 2010/2011 rund 22 000 Einträge von buchhändlerischen Betrieben. Hiervon entfallen ca. 15 000 auf herstellende Unternehmen. (…) Die amtliche Umsatzsteuerstatistik erfasst Buch- und Adressverlage erst ab einem Mindestumsatz von

17 500 € und kommt auf 2 787 steuerpflichtige Buchverlage. Die Zahl der Mitgliedsfirmen im Börsenverein betrug zum 1.5.2010 exakt 1 833 Unternehmen des herstellenden Buchhandels. Und die Größenstruktur? Gemäß einer Untersuchung der Fachzeitschrift ´Buchreport` besitzen die 100 größten Verlage einen Marktanteil von über 85 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Nur 100 Unternehmen haben einen Umsatz von mehr als 6,6 Millionen € erwirtschaften können, und nur 27 über 60 Millionen €.“ (a.a.O., S. 17).  Die Klein- und Kleinstverlage bewegen sich sozusagen in einer Dunkelzone und sind ihrer Zahl nach kaum zu erfassen,  sofern ihr Umsatz sehr niedrig liegt und sie nicht Mitglied des Börsenvereins sind.

Ähnliche Konzentrationsprozesse wie beim herstellenden Buchhandel vollziehen sich derzeit auch im Bucheinzelhandel in Deutschland. Auf der Website von Kleinverlagen mit eigenen und allgemeinen  Meldungen aus dem Buchhandel vom März 2011 (http://www.luubooks.de) heißt es dazu unter der Überschrift „Rettet unsere Buchhandlungen – Rettet unsere Bücher“: „Derzeit sind es noch ca. 3.800 Buchhandlungen, deren Hauptgeschäft Bücherverkaufen ist. 2005 waren es noch ca. 6.300 Buchhandlungen in Deutschland, somit haben mind. 5 Buchhandlungen pro Tag dicht gemacht. Gleichzeitig sind die Neuerscheinungen auf derzeit (2010/2011) ca. 100.000 neue Publikationen gestiegen!“ Große Ketten dominieren  mit Abstand den Markt. Für die Kunden ist das nicht immer transparent, da die „geschluckten“ Buchläden den alten Namen zum Teil weiterführen.

Stichwort: Kürzere Produktionszyklen

Auf den ersten Blick verwundert es, dass die Zahl von Neuerscheinungen trotz der Neuorientierungen und Umstrukturierungen am Buchmarkt  nicht etwa gesunken, sondern sogar noch gestiegen ist. Nicht zuletzt tragen dazu die unzähligen (und ungezählten) Klein- und Selbstverlage bei, die ihre Nischen gefunden haben und in meist sehr kleinen Auflagen für spezielle Zielgruppen publizieren. Gemäß dem Verzeichnis der Deutschen Nationalbibliothek betrug 2009 „die Zahl der Erstauflagen 93 124 Titel. Im Verzeichnis lieferbarer Bücher sind mittlerweile 1 200 000 Titel aufgeführt.“ (Bramann,  a.a.O., S. 17).  Erstauflagen sind allerdings nicht immer echte Neuheiten, sondern zum Teil nur Neuausgaben oder Neuauflagen.

Zugleich sinken tendenziell jedoch die verkauften Exemplare pro Titel, was eine Vielzahl von Ursachen hat (Lesen in anderen Medien, Online-Informationen, verändertes Freizeitverhalten etc. etc.). Hinzu kommt die  wachsende Konkurrenz der E-Books. 

Der Buchvertrieb/Einzelhandel reagiert auf sinkende Verkaufszahlen pro Buch mit schnelleren „Umschlag“-Zeiten, reduzierter Lagerhaltung, schnellerer Remission. Die vielfältigen Antworten der Verlage darauf heißen dann ihrerseits: schnellere Produktionszyklen, reduziertes Titelangebot, Kosteneinsparungen in allen Bereichen, vielfach Konzentration auf potenzielle Bestseller, verminderte Auflagenzahl bei Neuerscheinungen (Anfangsauflagen liegen heute teilweise selbst bei größeren Verlagen oft bei nur 2 000 – 3000 Stück). Denn was nicht verkauft werden kann, landet unter dem Etikett „Modernes Antiquariat“ zwangsläufig schnell beim Ramsch. „Bei Publikumsverlagen sind zwölf Monate Präsenz im Handel im Hardcover-Bereich sowie sechs Monate bei Taschenbüchern eher die Regel denn die Ausnahme.“ (Bramann, a.a.O., S. 14) Das Ziel heißt also: Möglichst hohe Stückzahlen in möglichst kleinen Zeiträumen zu vermarkten. Renommierte Verlage, die auf anspruchsvolle Titel mit geringen Auflagen schon aus Gründen des Renommees nicht verzichten wollen, greifen häufig zur „Mischkalkulation“, das heißt solche Titel werden aus populäreren und besser zu verkaufenden Programmteilen „quersubventioniert“.

Stichwort: Outsourcing

Diese Beschleunigung von Produktionszyklen bei knapper Kalkulation (der insgesamt geringeren durchschnittlichen Auflagenhöhe), oft ausgelöst durch Kosteneffizienzanalysen,  führt verlagsintern zu enormen Arbeitsverdichtungen, sodass sowohl Gutachten für den Ankauf von Titeln als auch die Buchbearbeitung bis zum druckfertigen Manuskript (Lektorate) bei größeren Verlagen zunehmend „nach außen“ verlagert werden – Übersetzungen sowieso. Zugleich spart man durch die Honorarverträge für Einzelprojekte mit den „Freien“ natürlich erheblich an Personalkosten für Festangestellte und an Sozialabgaben ein. Selbstverständlich haben die Free Lancer weder Anspruch auf Dauerbeschäftigung, noch auf Krankengeld, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld etc.

Für die „Freien“ bedeutet die Beschleunigung der Produktionszyklen in der Regel: Die zeitlichen Margen für freie Übersetzungen und Außenlektorate schrumpfen merklich und der  Arbeits- und Abgabedruck wächst und wächst  – ohne dass sich die Honorare der „Freien“ im Jahresdurchschnitt dadurch wesentlich verbessert hätten oder eine Verbesserung in Sicht ist.

Stichwort: Freie Übersetzerinnen und Übersetzer

So schön und anspruchsvoll dieser literarische Beruf ist: Vereinzelung, das schwierige Aushandeln individueller Verträge mit Verlagen, Zeiten übergroßer Arbeitsdichte (häufig gefolgt von Wochen der Auftragsungewissheit oder Nichtbeschäftigung), mangelnde finanzielle  Absicherung, Existenzängste kennzeichnen die Situation vieler literarischer Übersetzerinnen und Übersetzer, vermutlich ist das sogar die Mehrheit. Glücklich der (oder die), der einen höchst produktiven Bestsellerautor Jahr für Jahr als „Stammübersetzer“ begleitet. Das ist aber nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Zu den gänzlich unbezahlten Arbeiten zählen dabei Verwaltungsarbeiten, Buchhaltung, die Akquise von Aufträgen, Verlagsbesprechungen, Weiterbildungsmaßnahmen etc.

Um dieser Situation entgegenzuwirken, haben sich zahlreiche professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer zum „Verband deutschsprachiger Übersetzer“ (VdÜ) als Teil des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS) in der Gewerkschaft ver.di zusammengeschlossen. (Website: http://www.literaturuebersetzer.de).   Laut einer Erhebung von 2004-2008, deren Ergebnisse der VdÜ veröffentlichte, erzielten erfolgreiche, vollständig ausgelastete Literaturübersetzer in diesem Zeitraum einen Betriebsgewinn von durchschnittlich 13.000 bis 14.000 € jährlich, ihr Nettoeinkommen liegt damit an oder unter der Armutsgrenze.  Nach weiteren Erhebungen im Jahr 2011 hat der VdÜ eine umfangreiche Studie zur (kaum verbesserten) Honorarsituation der Literaturübersetzer erstellt. Unter dem Titel „Literaturübersetzende in Deutschland: ein Lagebericht“ enthält die Studie (einzusehen über die VdÜ-Website) detaillierte und fundierte aktuelle Informationen zur Einkommenssituation des Berufsstands.

Die Vergütung erfolgt entweder pauschal oder in einer Kombination aus Honorarpauschale und Umsatzbeteiligung. (Was aber häufig nur Augenwischerei ist, da die Umsatzbeteiligung sich erst bei einer  bestimmten  Auflagenhöhe des Buches rechnet, die oftmals gar nicht erreicht wird). Das Honorar für schwierige Übersetzungen mit hohem Rechercheaufwand liegt im Schnitt um kaum 15 Prozent höher als das Durchschnittshonorar. Mit anderen Worten: Je anspruchsvoller und rechercheaufwendiger die Übersetzung, desto weniger zahlt sich die Arbeit aus. Wenn aber wie am Fließband übersetzt werden muss, um von dieser Arbeit leben zu können, leidet die Qualität der Bücher darunter. Und bei schlechter Übersetzungsqualität schneidet sich der Übersetzer/die Übersetzerin dann auch noch den eigenen Ast im Verlag ab. Zwangsläufig führt die prekäre Arbeits- und Einkommenssituation der literarischen Übersetzerinnen und Übersetzer dazu, dass viele von ihnen „Nebenjobs“ annehmen – sei es bei Volkshochschulen, Firmen oder sonst wo – sofern sie sich nicht auf Lebenspartner stützen können oder stützen wollen.

Zwar hat der VS in ver.di mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels „Normverträge“ (Rahmenverträge) für die rechtliche Stellung und Honorierung von freien Übersetzerinnen und Übersetzern abgeschlossen. Doch konkrete Tarife sind darin nicht festgelegt. Der individuelle und kollektive Kampf um eine angemessene Vergütung und die Anerkennung der übersetzerischen Arbeit als eigenständige literarische Leistung geht also weiter.

Nachtrag 2015: Gemeinsame Vergütungsregel
Am 1. April 2014 trat die mit einer Gruppe von Verlagen ausgehandelte Gemeinsame Vergütungsregel (PDF) in Kraft. Sie war am 29.03.2014 von den Mitgliedern des VdÜ auf ihrer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit deutlicher Mehrheit angenommen worden. [Pressemitteilung (PDF)]  Die Erstunterzeichner auf Verlagsseite waren: C. Hanser, München, Hanser Berlin und Nagel & Kimche, Frankfurter Verlagsanstalt (Joachim Unseld), Hoffmann & Campe Verlag, marebuch, Schöffling Verlag, Wallstein Verlag. Diese Vergütungsregel verwirklicht erstmals für Literaturübersetzungen die Forderung der Urheberrechtsnovelle von 2002 nach gemeinsamen Regeln von Urhebern und Verwertern, mit denen eine angemessene Mindestvergütung definiert wird. Der Haken an der Sache:  Die  Vereinbarung gilt nur für sehr wenige Verlage.

Stichwort: Freie Lektorinnen und Lektoren

Ähnlich prekär ist die Situation freier Lektorinnen und Lektoren. Im Jahr 2000 wurde deshalb der „Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren“ gegründet  (Website: http://www.vfll.de). Der Berufsverband agiert als Forum, Netzwerk und Interessenvertretung seiner Mitglieder, ist in Regionalgruppen organisiert und hält mit mehreren Organisationen, darunter auch ver.di, engen Kontakt.  Eine Honorarumfrage des Verbandes aus dem Jahre 2006 ergab: „17.000 Euro Jahresverdienst, abzüglich Beiträge zur Künstlersozialversicherung, beträgt der durchschnittliche Jahresverdienst freier Lektoren bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden.“ (Anmerkung: Freie Lektoren sind nicht dauerbeschäftigt, deshalb dieser Durchschnittswert einer relativ geringen Wochenarbeitszeit auf das Jahr gerechnet.)

2006/2007 veröffentlichte der Verband eine Honorarempfehlung, nach der eine Vergütung „von 30 Euro pro Stunde das Minimum dessen (ist), was sich  verantworten lässt.“ Angesichts der Qualifikationen, die bei  einem freien Verlagslektor/Verlagslektorin vorausgesetzt werden, nimmt sich diese Forderung noch sehr bescheiden aus, denn die Tätigkeit des Außenlektors reicht von der Manuskriptbearbeitung (Recherche und Überprüfung von Fakten, stilistische und grammatikalische Korrekturen, Straffung und Bearbeitung von Handlungsfäden, Überprüfung bibliografischer Angaben etc.) bis zum „Umschreiben“ ganzer Buchpassagen in Abstimmung mit dem Autor, Erstellung von Anhängen mit Register und Glossar, Entwurf von Klappentexten usw. Außenlektoren erstellen zum Teil auch Gutachten, die für Ablehnung oder Annahme eines Manuskripts entscheidend sein können. Verlangt wird von freien Lektorinnen und Lektoren in der Regel eine umfassende Allgemeinbildung, Mehrsprachigkeit, gutes literarisches Wissen, sicheres Sprachgefühl, Erfahrung in der Recherche, absolute Fitness in Grammatik und Rechtschreibung – und natürlich die Bereitschaft, auch Stresszeiten mit langen Arbeitsnächten und Wochenendeinsätzen durchzustehen.

Auch hier existieren keine verbindlichen Tarife, sodass die Verträge in der Regel individuell ausgehandelt werden müssen – entweder durch Vereinbarung von Honoraren pro Manuskriptseite oder durch Pauschalen auf der Grundlage kalkulierter Arbeitszeiten (die aber sehr oft ohne Zusatzvergütung überschritten werden).

Stichwort: Autorinnen und Autoren

Erstauflagen  noch unbekannter Autorinnen/Autoren erreichen derzeit oft nicht mehr als 2 000 – 3 500 Exemplare. Die Mehrzahl bundesdeutscher Autorinnen und Autoren kann allein von Buchveröffentlichungen kaum oder gar nicht leben. Die Honorarzahlung wird nach dem Urhebervertragsrecht § 32 UrhG (vom März 2002)  geregelt, wobei derzeit „Nachbesserungen“ sowohl von den Verlegern als auch von ver.di bzw. dem Schriftstellerverband (VS) innerhalb dieser Gewerkschaft verlangt werden. Derzeit sind rund 4 000  Autorinnen und Autoren im VS organisiert. Mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat der VS „Normverträge“ zum Urheberrecht abgeschlossen, und mit Wirkung vom 1. Juli 2005 mit den Verlagen Kunstmann GmbH, Rowohlt Verlag GmbH, Fischer Verlag GmbH und der Verlagsgruppe Random House GmbH  „Gemeinsame Vergütungsregeln für Autoren belletristischer Werke in deutscher Sprache“. Darüber hinaus hat der VS dazu beigetragen, dass Schriftsteller über die Verwertungsgesellschaft WORT Vergütungen für die weitere Nutzung ihrer Werke erhalten.

Vorschüsse werden bei späteren Beteiligungen in der Regel angerechnet. In der Praxis umfasst die Honorierung eine ganze Bandbreite von Variationen, etwa den einmaligen Vorschuss, den Vorschuss in drei Teilen und andere Regelungen. Es sind aber auch völlig andere Modelle, etwa bei Kleinverlagen, denkbar – bis hin zur Selbstbeteiligung von Autorinnen/Autoren an den Produktionskosten („Zuschussverlage“). Auf den speziellen Fall von „Books on Demand“ will ich hier aus Platzgründen nicht näher eingehen.

Stichwort: Ratgeber

Einen Ratgeber für Selbstständige (darunter fallen sowohl hauptberufliche Autorinnen/ Autoren als auch freie Lektorinnen/Lektoren und Übersetzer/Übersetzerinnen),  kann man bei ver.di  unter https://www.mediafon.net/bestellung.php bestellen. Informationen zum Buch und zum Sonderpreis für ver.di-Mitglieder finden sich auch auf der Startseite der Online-Ausgabe (http://mediafon-ratgeber.de) und ein detailliertes Inhaltsverzeichnis unter http://www.mediafon.net/upload/inhalt_mediafon_rgs2011.pdf 

Teil II – Kleinverlage – die Anarchisten unter den Büchermachern?

„Die kulturelle Vielfalt wird in Deutschland maßgeblich von der Existenz und dem Wirken der vielen kleineren unabhängigen Verlage geprägt. Sie wäre ohne die Kreativität und Innovation dieser Verlage nicht denkbar. Gerade diese Verlage setzen Trends, reagieren flexibel auf Veränderungen und entdecken neue Themen und/oder Autoren. Sie wagen außergewöhnliche Projekte und setzen diese mit viel Engagement, Enthusiasmus und Risikobereitschaft auch um“, heißt es  in der Präambel des „Arbeitskreis kleiner unabhängiger Verlage“ (AkV), der vor mehr als 25 Jahren gegründet wurde.   (Website: http://www.boersenverein.de/de/158446/Verlage/158258)

Zu seinen Zielen zählt die Interessenvertretung seiner Mitglieder, die Förderung von Kooperationen und Gemeinschaftsaktionen (etwa durch Gemeinschaftsauftritte auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig), die Information über branchenrelevante Themen und der Erfahrungsaustausch untereinander (etwa durch Jahrestagungen und Workshops). 

Alles wunderbar. Nur ist der Haken dabei: Die Mitgliedschaft beschränkt sich auf Mitglieder des Börsenvereins des  Deutschen Buchhandels. Darüber hinaus sind Kriterien für die Mitgliedschaft u.a. Umsatz,  Titelzahl und die wirtschaftliche und organisatorische Unabhängigkeit. Ein Beispiel: Für Unternehmen,die im Landesverband Baden-Württemberg des Börsenvereins organisiert sind und deren Netto-Jahresumsatz zwischen 0 und 100 000 Euro beträgt,  ist der jährliche Mitgliedsbeitrag derzeit ca. 550 Euro, wobei zusätzliche Abgaben (wie Sozialwerksabgaben) hinzukommen können. Kleinstverlage – ich meine hiermit solche Verlage, die im Unterschied zu Kleinverlagen nicht besteuert werden, weil ihr durchschnittlicher Jahresumsatz weniger als  17 500 Euro beträgt – fallen hier meist schon wegen der Höhe des Mitgliedsbeitrags durch das Aufnahmeraster.

Als Interessenvertretung unabhängiger deutscher Verlage – das müssen keineswegs Kleinverlage im engeren Sinne sein –  wurde im Jahr 2000 vom damaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann, vom Börsenverein und von unabhängigen Verlegern die gemeinnützige Kurt-Wolff-Stiftung (KWS) gegründet, die seit 2002 ihren offiziellen Sitz im Haus des Buches in Leipzig hat. (Website: http://www.kurt-wolff-stiftung.de). In einem auf der Website des Goethe-Instituts veröffentlichten Interview vom August 2006, geführt von dem freien Journalisten Martin Zähringer, Berlin, gibt Manfred Metzner, Verlag Das Wunderhorn (Heidelberg), Auskunft über die Zielsetzungen der Stiftung:

Interview

„Was ist ein unabhängiger Verlag?
Im Sinne der KWS sind das Verlage, die keine Konzernverlage sind. Die Kriterien, die für die Stiftung wichtig sind: 1. Die Verlage sollen ein literarisches/essayistisches Programm haben und Wert legen auf eine gute Buchausstattung. 2. Sie müssen eine professionelle Struktur der verlegerischen Arbeit, zum Beispiel der Vertriebsstrukturen, haben.

Wie sieht das wirtschaftlich aus? Wie groß sind unabhängige Verlage?
Die Zielgruppe der KWS sind Verlage mit einem Jahresumsatz von bis zu 5 Millionen Euro, aber in der unabhängigen Szene sind ja auch Umsätze von unter 100 000 Euro keine Seltenheit. Verlage, die über den 5 Millionen liegen, brauchen unsere Arbeit nicht mehr.

Warum können die unabhängigen Verlage nicht so weitermachen wie bisher? Was hat sich wesentlich verändert?
In den letzten zehn Jahren hat sich die Verlags- und Buchhandelsstruktur sehr stark verändert. Das fällt jedem ins Auge, der sich schon etwas länger in Buchhandlungen bewegt. Früher gab es viele unabhängige Buchhandlungen, die bis zu 30.000, ja bis zu 50.000 Titel in ihrem Sortiment hatten, also im Laden oder am Lager. Heute gibt es immer weniger solcher Buchhandlungen, dafür immer größere Handelsketten mit immer mehr Verkaufsfläche. Aber je größer die Läden werden, desto weniger repräsentieren sie die Vielfalt des literarischen Angebots. Dort geht es fast nur noch um Schnelldreher und Stapelware. Die Programme unabhängiger Verlage sehen Sie da kaum. Dabei können die Buchhandlungen mit diesen Programmen genauso Geld verdienen. (…)

Auch unabhängige Verlage sind Unternehmen, also Konkurrenten. Wie kann eine Stiftung konkurrierende Interessen vertreten?
Wir fördern ja nicht die Verlagsarbeit, es gibt keine direkten Zuwendungen. Wir machen Öffentlichkeitsarbeit für die Bücher aus unabhängigen Verlagen, wir weisen auf für die Verlage gefährliche Veränderungen auf dem Buchmarkt und in der öffentlichen Meinung hin und stellen die großartigen verlegerischen Leistungen dieser Verlage heraus. (…)

Welche Dienstleistungen können unabhängige Verlage bei Ihnen abrufen?
Keine. Wir informieren, stellen Informationen zur Verfügung, zum Beispiel gab es bis vor zwei Jahren keine umfassende Information zu Übersetzungsförderungen. Wir haben alle Informationen – also welches Land fördert Übersetzungen, wie sind die Bedingungen, wo muss beantragt werden usw. – zusammengetragen und jeder kann diese auf unserer Webseite abrufen. Wir agieren auch direkt, etwa, als die Frankfurter Buchmesse die Standmieten eklatant erhöhen wollte, was für viele Verlage das Aus in Frankfurt bedeutet hätte – da gab es unsererseits eine schnelle Reaktion, wir haben den Börsenverein eingeschaltet, die Presse mobilisiert, mit der Messe Gespräche geführt – und es gab dann keine Standmietenerhöhungen im geplanten Umfang. Oder wir führen mit Frankfurt und Leipzig regelmäßig Gespräche, wie man die Messeauftritte der unabhängigen Verlage weiter verbessern kann.(…)“

Klar wird dabei, dass auch bei dieser Stiftung viele unabhängige Kleinverlage mit geringer Kapitalausstattung durch das Mitgliedsraster fallen, schon deshalb, weil sie die Kriterien der „professionellen Struktur der verlegerischen Arbeit, zum Beispiel der Vertriebsstrukturen“ oder der „guten Buchausstattung“ im Sinne der Stiftung nicht hinreichend erfüllen.  Mit anderen Worten: Sie können mit der Creme de la Creme der unabhängigen Verlage nicht mithalten.

Doch inzwischen gibt es auch untimageer den Klein- und Kleinstverlagen vielfältige Formen der Zusammenarbeit. Beispielsweise findet man unter http://www.kleinverlage.de  ein Internetportal  für Kleinverlage. Darüber hinaus gibt es branchenspezifische gemeinsame Portale, beispielsweise im Bereich der Fantastik. Eine weitere Initiative, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, ist die Veranstaltung von regionalen Buchmessen, auf denen vor allem Kleinverlage die Chance haben, ihr Angebot zu präsentieren, sich miteinander zu vernetzen und Kontakte zu regional ansässigen Autorinnen und Autoren  (wie natürlich auch umgekehrt) herzustellen. Ein Beispiel dafür ist die Durchführung der „Ersten Pfälzer Buchmesse“ in Neustadt/Weinstraße im November 2010, gefolgt von der zweiten Messe im Juni 2013.(Website http://www.pfälzerbuchmesse.de ).  

Das Spektrum kleiner Verlage ist unübersehbar groß,  reicht in alle Bereiche der Literatur hinein und hat alle möglichen Organisationsformen. Manche verzichten wegen der hohen Kosten ganz und gar auf den „klassischen“ Buchvertrieb (und sogar auf die ISBN-Nummer) und stellen auf Direktvertrieb um. So heißt es beispielsweise in einem Interview von Horst Hermann von Allwörden mit Mirko Schädel (Achilla Presse, Direktvertreiber) vom 8. November 2009 (http://www.zauberspiegel-online.de) auf die Frage nach der Verlagskalkulation:

„Das Problem  ist (…), dass die Kosten bei kleinen Auflagen explodieren. Wenn meine Auslieferung mir 12% vom Ladenpreis berechnet für diese Dienstleistung, der Grossist mir 50% abzieht, ich 7 % Mwst. und möglicherweise 8 % Autorenhonorar zahle, dann gehen mal eben rund 75 % irgendwohin, nur nicht zum Verlag. Wenn dann noch die laufenden Kosten, die Druck- und Bindekosten, die enorm hohen Übersetzungskosten ne Rolle spielen, dann ist das alles ein Witz … Früher hat man mehr Bücher direkt an den Buchhandel geliefert, heute läuft das meistens über den Parasiten Zwischenhandel. Ich könnte mich besser auf den Marktplatz stellen und 5-Euro-Scheine an die Bevölkerung verschenken, als Bücher zu machen.“ Und im Folgetext: „Ich müsste sieben Bücher im Handel verkaufen, um auf den Gewinn zu kommen, wenn ich eines direkt verkaufe.“

Selbstverständlich ist bei Kleinverlagen in der Regel ein ebenso hohes Maß an Selbstausbeutung wie Lust und Leidenschaft im Spiel, sonst würden die wenigsten durchhalten. Doch gerade angesichts der Konzentrationsprozesse im Verlagsgeschäft, der Ausrichtung auf „gängige“ Titel, des Booms seichter Ratgeber für alle Lebenslagen, schnell zusammengeschusterter Kochbücher und dummdreister Promi-Autobiografien, ist der Beitrag von Kleinverlagen zum Artenschutz außergewöhnlicher, interessanter Buchprojekte unschätzbar hoch – und ihr Sterben keineswegs in Sicht, denn schließlich gibt es immer wieder, wie Mirko Schädel feststellt, „Verrückte, die ihr wie auch immer entstandenes Vermögen in Verlage stecken und diese gründen“.

Und immer wieder Literaturenthusiasten, die dem durchstrukturierten Büchermarkt ihren eigenen, eigen- und freiwilligen Zusammenschluss als selbstbestimmendes, selbstverwaltendes unabhängiges Verlegerkollektiv entgegenstellen – Anarchisten im Mediengefüge.

© Usch Kiausch, 2011